Auf die Frage, warum Reformierte Kirchen in Europa, die oft selbst als Minderheit leben, sich in besonderer Weise im Bereich Flucht und Migration engagieren, wird mit dem schlichten Satz geantwortet: Weil wir selbst Flüchtlinge waren…

In dieser Feststellung drückt sich dreierlei aus:

  • Die lebendige Erinnerung an die Geschichte von reformierten Kirchen meint z.B. bei Waldensern oder Hugenotten Verfolgung über Jahrhunderte.
  • Der Hinweis auf die Entwicklung der Reformierten Kirchen insgesamt, deren Entstehung und Existenz über lange Zeit von Flucht und Asyl bestimmt war.
  • Das Bewusstsein um die Aufgabe als christliche Kirche, die sich der Botschaft des Alten und Neuen Testaments hinsichtlich der Begegnung mit „Fremden“, Entwurzelten und Entrechteten besonders verpflichtet weiß.

Dazu zwei biblische Befunde:

  1. „Einen Fremden sollst du nicht quälen. Denn ihr wisst, wie dem Fremden zumute ist, seid ihr doch selbst Fremde gewesen im Land Ägypten.“ (Ex 23,9)

Gott erinnert sein Volk an seine eigene Geschichte, an erfahrenes Leid, gleichzeitig aber auch an die Befreiung aus dem Sklavenhaus. Gott fordert deshalb ein entsprechendes Handeln im Umgang mit Fremden. Zu wissen, wie den Fremden zumute ist, heißt: ihre Ängste und Hoffnungen wahrzunehmen, ihre Verzweiflung und Verletzung zu spüren, möglicherweise genau so, wie man sie selbst empfunden, am eigenen Leib erfahren hat.

Diese „Erinnerungen“ gehen jedoch über die persönliche Sphäre hinaus. Ihr weiterer Kontext sind Rechtssatzungen als „Ausführungsbestimmungen“ der Zehn Gebote. Durch sie wird die Achtung vor Fremden und die Bewahrung ihrer Würde zum verbrieftem Recht. Die Achtung des „fremden“ Mitmenschen und seiner Rechte ist die Achtung des von Gott geliebten Gegenübers. Umgekehrt formuliert: jede Verletzung des Fremden, seiner Rechte und Würde oder seines Lebens, bedeutet einen Angriff auf Gott, auf den Heiligen, selbst.

  1. Du sollst das Recht von Fremden, die Waisen sind, nicht beugen; du sollst das Kleid einer Witwe nicht als Pfand nehmen. Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, dort freigekauft.“ 5.Mose 24,18

Nach biblischer Perspektive haben Flüchtlinge, Kinder und Erwachsene, Rechte; sie sind also nicht abhängig von Gnadenakten. Über die Hälfte der 60 Mio. Flüchtlinge weltweit sind unter 18 Jahren! Das sind Kinder und Jugendliche, die allein, ohne Eltern, ohne Familie, ohne Vertraute unterwegs sind; Kinder mit Verletzungen und Traumatisierungen. Jesus Christus, der Gottes-Menschen-Sohn, den wir als Messias bekennen, teilt diesen Weg eines Flüchtlingskindes, von Anfang an.

Sabine Dreßler, Reformierter Bund, Hannover