Die Künstlerin Doris Lemberg-Hinsenhofen hat im Frühjahr ein Ausstellungsprojekt zum Thema „Flucht“ gestartet. Sie arbeitet ehrenamtlich in der Erstaufnahmeeinrichtung Adenauerstraße und hat dort die Ausstellung mit Geflüchteten entwickelt. Segel mit Fluchtgeschichten hingen in der Christuskirche. Wir stellen zwei der Segel mit exemplarischen Geschichten vor:

Eine Flucht aus Litauen im 2. Weltkrieg:
„In einem kleinen Dorf in Litauen lebte ich mit meiner Mutter und 6 Geschwistern. Mein Vater und ein Bruder starben 1919 an Typhus. Ich bin im Januar 1920 geboren. Ich war der Jüngste. Wir waren Baltendeutsche. 1941 wurden wir, meine Mutter, meine 2 Schwestern und 2 Brüder ins Wartheland (Polen) umgesiedelt. Ich musste gleich zum Militär. Nach kurzer Ausbildungszeit wurde ich nach Finnland verschickt. 3 Jahre versuchte ich dort zu überleben. Beim Rückzug über Norwegen, Dänemark und Lüneburg wurde ich im Saarland gefangen genommen. Von den Amerikanern. Nach 10 Monaten wurde ich in Brandenburg entlassen. Wohin sollte ich gehen? Keine Heimat und keine Angehörigen mehr. Da ich Bauer war, suchte ich mir eine Stelle als Knecht auf einem Hof. Ich hatte Glück und fand einen guten Landwirt. Aber immer gingen meine Gedanken zu meiner Familie. So schrieb ich an das Rote Kreuz und machte einen Suchantrag. Nach 3 Jahren bekam ich die unfassbare Nachricht: Meine Mutter und meine Schwester sind ins Lipperland geflüchtet. Dort lebte mein Bruder. Er war aus englischer Gefangenschaft dorthin entlassen worden und hatte, oh Wunder, eine eigene Wohnung. Meinen Angehörigen war ich als vermisst gemeldet worden. So hatten sie nicht weiter nach mir gesucht. Ich zog auch ins Lipperland und bekam Arbeit im Straßenbau. Mit viel Arbeit und Sparsamkeit habe ich mir eine Existenz geschaffen und gründete eine Familie. Und meine Schwester und die anderen Brüder? Die sind 1945 im Frühjahr auf den großen Treck gegangen, sind bis heute angekommen. Ich hoffe und wünsche mir, daß die nachfolgenden Generationen soviel Unglück und Leid erspart bleibt!“

Und eine Flucht aus Irak 2015:

Den Irak verlassen am 23.09.2015. Ich habe die Schule bis zur 10 Klasse besucht. Den Grund, warum ich aus dem Irak weggegangen bin, kennen alle Leute: Der Krieg und der Religionskrieg. Ich bin nach Deutschland gekommen aus dem Meer und ich habe einen Weg genommen und ich weiß, dass 100 % führt in den Tod. Und diesen Weg habe nicht nur ich genommen. 1000 Menschen habe diesen Weg auch genommen. Wir verlassen mein Heimatland Irak und wir brauchen Schutz und Sicherheit von Merkel. Ich komme mit meinem mann und mit meinem Sohn – ich habe ihn geboren auf dem Weg – und mein Sohn war 3 Tage alt auf dem Meer. Und das war sehr schwer für das kleine Kind, für mich und meinen Mann. Wir möchten Asyl in Deutschland, Schutz und Sicherheit. Und Dankeschön an Merkel, weil sie hat gesagt Willkommen in meinem Heimatland und sie hat auch gesagt: Ihr könnt in meinem Heimatland leben. Ich bin nach Deutschland gekommen am 07.11.2015. Danach war ich sehr müde, weil der Weg war sehr schwer. Die Zeit von der Türkei bis Deutschland war 20 Tage und es war sehr schwer und sehr, sehr kalt. Ich möchte, dass man versteht, wie schwer es war mit einem kleinen Baby und sage Gott dank, dass ich mit meiner Familie nach Deutschland gekommen bin und in Sicherheit. Ich habe es 3 mal versucht und beim 4. Mal bin ich angekommen.
Grüße von uns Noor al Huda (heute 19 Jahre alt).