Durch die Corona-Pandemie haben wir wegen der damit verbundenen Einschränkungen zeitweise keine Gottesdienste in unserer Kirche feiern dürfen. Aber glücklicher Weise gab es jedoch als Ersatz Online-Angebote, die ein neues Erlebnis boten. Dabei ist es lohnenswert, sich über dieses neue Format ein paar Gedanken zu machen.

In der Vergangenheit haben die Erfindungen des Buchdrucks, des Hörfunks und des Fernsehens jeweils neue Formen der Kommunikation des christlichen Glaubens hervorgebracht. Im Zuge der Digitalisierung ist nun eine weitere Form hinzugekommen: der Online-Gottesdienst. Obwohl es im digitalen Gottesdienst inhaltlich um denselben Sachverhalt geht wie bei einem klassisch traditionellen Gottesdienst, so unterscheiden sich doch beide Formen in ihrem kommunikativen Ausdruck und Erleben, auch wenn der übertragene Gottesdienst im Internet zeitgleich übertragen wird.   

Ist für die Teilnahme an einem traditionellen Gottesdienst nur die Anwesenheit des Gläubigen in der Kirche notwendig, so bedarf die Teilnahme an einem digitalen Gottesdienst allerlei technischer Voraussetzungen: ein leistungsfähiger Computer, ein Internetanschluss sowie Bedienungskenntnisse. Dabei sind die Ausstrahlung und der Empfang von Online-Gottesdiensten nur möglich, wenn den allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen der digitalen Anbieter zugestimmt wird, was eine gewisse Abhängigkeit von diesen mit sich bringt und je nach Anbieter ggf. sogar christliche Grundsätze verletzen kann.

Während der traditionelle Gottesdienst in der Kirche als sakralem Ort der Gemeinde zu einem festen Zeitpunkt live stattfindet, so kann der Online-Gottesdienst aus der vertrauten Gemeindekirche an jedem Ort dieser Welt empfangen werden, sei es am Frühstückstisch, im Wohnzimmer, im Wohn- oder Arbeitszimmer oder auch im Bett. Die Wahrnehmung und die Atmosphäre sind deshalb sehr unterschiedlich. Wird der Gottesdienst in der Gemeinde vor Ort gefeiert, so bietet er in der Regel eine größere Gemeinschaft. Hier erlebt sich der Gläubige gemeinsam mit anderen und findet sich im direkten Gegenüber. In der digitalen Kirche ist der Nutzer in einer gemeinschaftsähnlichen Struktur einer anonymen „Community“, aber in der Regel sitzt er allein vor dem Empfangsgerät, was ein Gefühl der Vereinzelung oder sogar Einsamkeit mit sich bringen könnte. Auch denjenigen, die aktiv den Gottesdienst gestalten (Pfarrerin/Pfarrer, Organist u.a.), werden der direkte Kontakt und die Interaktion mit den Gottesdienstbesuchern fehlen und die Kommunikation ungewohnt sein.

Regt der klassische Gottesdienst vor Ort durch das gemeinsame Singen und Beten alle Sinne in unterschiedlicher Intensität an, so werden in der digitalen Übertragung in der Regel höchstens das Hören und Sehen, evtl. auch das Fühlen angesprochen. Wenn dem digitalen Gottesdienst aber eine Chat-Funktion zur Kontaktaufnahme zur Verfügung steht, kann der Nutzer unmittelbar Einfluss in Form von Grüßen, Fürbitten und Gebeten u.s.w. nehmen. Dazu muss er sich jedoch in dem sozialen Medium ein persönliches Profil einrichten, das wahrheitsgetreu sein muss, weil sonst die Kommunikation nicht authentisch sein kann. – Außerdem ist es möglich, dass im Gottesdienst am Bildschirm eine unterschwellige Erwartungshaltung des Entertainments mitschwingt, weil der digitale Gottesdienst auch unabsichtlich an die Fernsehgewohnheiten der Nutzer anknüpft. Es ist jedoch bedenklich, wenn sich das Online-Format so weit den unterhaltenden Sehgewohnheiten annähert, dass die eigentliche Verkündigung zu stark in den Hintergrund gerät. – Ist der traditionelle Gottesdienst speziell auf die Gemeindemitglieder in einer überschaubaren Anzahl ausgerichtet, so kann die online-Verkündigung sogar Millionen von Gläubigen erreichen. Wenn sich aber die (fiktive) Zielgruppe dermaßen vergrößert, könnte sich das einzelne Gemeindemitglied in dieser Menge nicht mehr als vollwertig wahrgenommen fühlen.

Letztlich könnte auch eine Konkurrenz zwischen der traditionellen Kirchengemeinde mit dem online-Angebot entstehen. Denn wenn es die Gläubigen vermehrt bevorzugen, den Gottesdienst bequem zu Hause am Bildschirm zu verfolgen, könnte es sein, dass es der Kirche bald an unmittelbarer Gemeinschaft fehlt.      

Insgesamt fällt auf, dass sich ein klassischer Gottesdienst nicht ohne weiteres in ein anderes Medium übertragen lässt, ohne dass etwas von seinem Wesenskern verloren geht. Deshalb kann er nur eine Ersatzlösung sein, die jedoch zweifellos besser als gar kein Gottesdienst ist.                                               

Thomas Gerigk